Bihać :: Das letzte Negerlein

s t a m m t  a u s  d e r  U m g e b u n g  von Bihać, ist inzwischen ein Jahr alt, bildhübsch, lebensfroh, widerspenstig, liebesbedürftig und manchmal melancholisch wie die bosnische Seele selbst. Mit Sicherheit lassen sich in Bosnien auch weniger anstrengende Souvenirs auftreiben.

  

Zum Beispiel:

Postkarten aus den siebziger Jahren von Dingen, die es nicht mehr gibt

handgeschleuderten, bernsteinfarbenen Wildhonig, der zu schön ist, um ihn zu essen

Zigaretten, die schmecken wie schon einmal geraucht

eine Sammlung handgemalter Quittungen für Bestechungsgelder, von verschiedenen uniformierten Künstlern am Straßenrand angefertigt

ein ganzes Kuhfell, eine Fähnlein-Fieselschweif-Mütze und eine geklöppelten Tischdecke

Patronenhülsen (Vorsicht: Export ist strafbar)

zwei Quadratmeter Wandkarte, auf der vor lauter Minenmarkierungen kein Städtename zu lesen ist

den Geruch von Eseln und Pflaumen in den Klamotten

eine Kühltruhe voll Augusthagelkörner

eine Regentonne voll selbstgepflückter Steinpilze

geklopftes und gestochenes Leder, Kupfer und Messing

das selbstgeschriebene Werk "Überleben in der Wildnis, Band Eins bis Zehn"

Hundertzwanzig raubgepresste CDs à 3 K-Mark von hundertzwanzig verschiedenen serbokroatischen Schlagerbands

Weltschmerz

Lebensfreude

eine Zementmischmaschine und einen Karton grüner Wollsocken von Arizona Market

blaue Flecken, Insektenbisse, Bizeps-Spasmen

einen Teppich, der garantiert nicht in den Rucksack passt

ein Pfund Rosenkranz

ein verirrtes Schaf

Feigensucht im Endstadium



Der Reiseprospekt meint: "Die Einwohner der Stadt Bihać werden Sie auch begeistern: sie sind stolze und hochmütige Leute. Durch die Geschichte war die Stadt oft auf dem Stoss der verschiedenen Lage." Was auch immer das heißt: Es stimmt mit Sicherheit

Die in den Medien berühmte "Moslemenklave Bihać" ist kein Stück eingezäunten Brachlands, auf dem sich staubige Gestalten unter Zeltplanen zusammendrängen. Im Gegenteil herrscht eher Bosnien Light: Arztpraxen und Versicherungsbüros haben verstellbare Lamellenvorhänge, an den Kanzleien hängen Schilder aus Messing. Es gibt ein DocMartens-Fachgeschäft und ein Flashart-Café, Dreadlocks und halb-halb gefärbte Haare. Abgewetzte Hosen und schwere Stiefel sind kein Zeichen von Armut, sondern schick. Ob es an der Nähe zu Kroatien liegt, an besonders umfangreichen internationalen Hilfsprogrammen oder an der Mentalität der Stadtbewohner, die sich ständig selbstsicher und zielgenau auf unbekannte Punkte zu bewegen, sei dahingestellt. Die bosnische Hölle, sagt ihr Ruf, sei die angenehmste von allen: Entweder das Feuer ist aus, oder der Folterknecht hat verschlafen, oder alle sind bei einem Fest. Dies trifft in Bihać nicht ganz zu. Dennoch oder gerade deswegen ist es eine ausgesprochen angenehme Stadt, die wenigstens auf den ersten Blick auf ausgeglichene Weise mit Kriegs- und Enklavenerfahrung umzugehen scheint.


Was man tun muss

Auf der Brücke über der Una stehen und eine Weile den Fluss betrachten - in beide Richtungen. Der Fluss, breit und flach, steigt mitten in der Stadt einen kleinen Wasserfall hinunter und umarmt ein paar Inseln, die allesamt nach Sonnen, Baden und Angeln, nach Lagerfeuer und Rotweintrinken aussehen. Die Fische leben in großen Schwärmen, sind zutraulich und werden aus Brottüten gefüttert wie andernorts die Tauben.

Bihać ist touristisch erschlossen, wenigstens vergleichsweise. Unterbringungsmöglichkeiten gibt es zuhauf (Adresse). Preiswert und dennoch relativ zentral ist Pension Hanka (etwa 60 K-Mark für ein Doppelzimmer). Adresse und Telephonnummer im Touristenbüro (Adresse) erfragen (von denen es in Bihać sechs gibt!).

Hübsche Cafés und Restaurants gibt es vor allem in Flussnähe, auf beiden Seiten der Una, z.Bsp. in der Džemala Bijedića, vom Zentrum kommend über die Brücke die erste große Straße rechts am Ufer entlang, oder im und am Park auf der Zentrumseite der Una. Auf dem Korso im Zentrum ("Bedem") sitzt man weniger wegen des guten Kaffees, mehr um sich gegenseitig zu mustern.

Rafting. Auf zehn Seiten werden Naturschönheiten gepriesen. Ansonsten lese ich immer nur "Rafting". Das scheint ein Muss, was bei den Wilden Wassern der Una auch nicht weiter verwundert. Ich habe es nicht ausprobiert. Die notwendigen Informationen erhält man bei Una Kiro-Rafting (Adresse) oder Una Regata Sport Bijeli (Adresse).

Die Altstadt von Bihać ist klein, man kann sich Zeit lassen, um sie zu durchwandern. Wenn man davon genug hat, holt man sich im Touristenbüro Stella Tours auf der Ulica Bosanska einen Hochglanzprospekt und liest die deutschen und englischen Übersetzungen der Werbetexte... Unterhaltsam!

Das kleine Museum im alten Kapitänsturm neben dem Glockenturm besuchen, das auf vier Stockwerken die Stadtgeschichte von der Prähistorie bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dokumentiert. Dann ist Schluss, die Treppe zur obersten Etage abgesperrt.


Was man  n i c h t  tun muss

Skizze zur Quelle der Una

Äußert man bei Stella Tours den Wunsch, die im Prospekt abgebildeten Naturschönheiten, insbesondere die Quelle der Una, aufzusuchen, stößt man zunächst auf Befremden. Bleibt man hartnäckig, bekommt man eine Wegskizze: Am Dorf Ripač vorbei, dann irgendwann rechts. Probieren Sie alle Abzweigungen ohne Asphalt. Jede fahren Sie ein paar hundert Meter. Wenn Sie einen Zettel in Klarsichthülle am Stamm einer Birke sehen, auf dem Strbački Buk steht, sind Sie richtig. Dann immer geradeaus.


Quelle der Una Wenn Sie einmal den Fluss Una sehen werden Sie nie die smaragde Farbe, die Schnellen, Geräusche und Rauhwacken vergessen, alles, was es ihn einzig tut. ... und wie ein feierlicher Dichter werden Sie nur sagen können:

Schönheit, Schönheit, ich hab ein wenig /
Augen, dass ich sehe, ich habe ein wenig /
Lunge, dass ich atme.

Wenn Sie nicht die Herausforderung fürchten, sind Sie dann auf dem echten Platz. Wenn Sie der Pilger der Höhen sind, ruft Sie der bekannte luftige Lift.*

* Bilder und Text aus dem Prospekt


Bild der Quelle Nimmt man dann die beschriebene Strecke auf sich und lässt sich nicht davon schrecken, eine Stunde lang über gigantische Schlaglöcher durch den Wald zu kriechen, erreicht man möglicherweise tatsächlich die Quelle der Una. Noch einmal schlage ich den Prospekt auf. Unter den Photos ein paar schlechte Gedichte in schlechter englischer Übersetzung über den Zauber des grünen Wassers. Kein Wort darüber, auch nicht von der Frau im Touristenbüro, dass die unsterbliche Quelle inmitten eines abartigen Minenfelds gelegen ist.  Die Markierungen sind mit den Straßenrändern identisch, gelegentlich schlagen sie einen Haken in die Straße hinein. Einzeln aufgespürte Minen sind durch Karrees aus Stöcken und Plastikbändern ausgewiesen. Ich stelle sie mir als fette, unterirdisch lauernde Kröten vor. Weit ziehen sich die Bänder ins Tal hinunter, über verbrannte Erde, an den verkohlten Gerippen von Bauernhöfen vorbei, weiter bis zum Waldrand. Man braucht keine Phantasie, um vor sich zu sehen, was hier passiert ist. Die Schilder mit Totenköpfen wären nicht nötig gewesen. Das mehrere Hektar große Grab schweigt nicht, es schreit, dass ich mir die Ohren zuhalten will. Ich sehe den Fluss nicht an. Den Wald nicht, nicht den Himmel. Als ich einen Moment den Kopf hebe, um den höchsten Berg am anderen Ufer anzuschauen, guckt der mit ironischem Ausdruck zurück. Ein Augenzeuge.
Kein Zweifel, die Quelle der Una ist atemberaubend schön. Hinfahren, finde ich, muss man dennoch nicht.


E. T. nach Hause telefonieren

     Vorwahl:
Von Deutschland aus: 00 387 - 37
Von einem Ort in Bosnien aus: 0 37

Ein Internetcafé befindet sich auf der Harmanski Sokak (oder war es auf der Maka Dizdara? Im Zweifel bei der Touristeninformation nachfragen!), linke Straßenseite, wenn man vom Zentrum aus kommt, im Hinterzimmer einer sehr modern anmutenden kleinen Bar - das Schild an der Tür, das auf Internet verweist, ist klein und nur bei genauem Hinsehen zu erkennen.