Sarajevo :: If you see him

h e   s e e s   y o u. Diese Regel gilt in Sarajevo nicht mehr, die Belagerung ist vorbei. Wenn man einmal dort ist, kommt man trotzdem schlecht wieder weg.

Jahrelang lag die Stadt in der Blackbox hinter dem Eisernen Vorhang, war ein Ort, über den man auf der Weltkarte mit dem Finger hinwegfährt. Bis Sarajevo auf internationalem Parkett mit einem Kriegsauftritt debütierte, sich vorstellte mit qualitativ schlechten TV-Aufzeichnungen von dunklen Staubwolken und hochspritzenden Häusersplittern. "Sarajevo" ist ein verwirrender Kampf, bei dem man nicht weiß, wem die Daumen gedrückt werden sollen. Aus Steinen, Holz, Metall oder gar aus Menschen ist es nicht. Im Takt meiner Schritte flüstere ich den Namen, Sa-ra-je-vo, als könnte ich ihn auf diese Art ins Pflaster stampfen, wo er hingehört. Es klappt nicht. Er verliert noch den Rest seiner Bedeutung, wird zu etwas wie Do-re-mi-fa-sol.



Was man tun muss

Im Touristenbüro (Adresse) jede Menge Informationsmaterial abgreifen. Dort sind die wichtigsten Sehenswürdigkeiten besser beschrieben und erklärt, als ich es jemals könnte. In Sarajevo können grundsätzlich sämtliche Regeln des europäischen Städtetourismus‘ zur Anwendung gebracht werden.

Bei Pod Lipom essen. Wenn man Baščaršija (die türkische Altstadt) auf der Einkaufsmeile (Fußgängerzone) Richtung Kathedrale durchquert, in einer der kleineren Gassen rechter Hand. Meistens steht ein Schild des Restaurants auf der Straße und weist den Weg. Im Sommer klappt Pod Lipom das Glasdach auf und man sitzt drinnen-draußen. Das Essen ist billig, bosnisch, hervorragend.

Für westeuropäische Preise im türkischen Luxusrestaurant Inat Kuča (Adresse) essen. An der Flusspromenade Richtung Osten gehen, nach Osten guckend auf der rechten Flussseite. Wenn auf der anderen Flussseite die ausgebrannte Hauptbibliothek auftaucht, stößt man auf ein altes türkisches Haus, dreistöckig, höher als breit. Drinnen gibt es Essen auf drei Etagen und wenig Platz zum Sitzen, wer größer ist als ich zieht unter den Deckenbalken besser den Kopf ein. Kommt man früh am Abend, kriegt man eine Couch mit bunten Kissen und Blick auf den Fluss. Wer zu spät kommt, kriegt überhaupt keinen Platz. Der Dingač ist ein Gedicht, das Essen gut unterhaltende Prosa. Man trifft Menschen von überall, nur nicht aus Bosnien.

Ein Kilo Kaffee kaufen in Baščarčija und mit nach Hause nehmen. Schmeckt anders und verteilt seinen Geruch für ein paar Tage in der ganzen Wohnung.

Bei Buybook (Adresse) Stöbern und Kaffeetrinken, ein Buchladen, ein Café, alles voller Autoren, ein Gespräch über europäische Literatur, den Lauf der Dinge, über dies und das. Mindestens einen Band bosnische Gegenwartsliteratur in Übersetzung erwerben. Wer keine Lust hat, darin zu lesen, verschenkt das Buch zu Hause und betrachtet das Ganze als Spendenaktion.

Wenn die Zeit es erlaubt, im August kommen zum Film-Festival. Das Filmfestival verwandelt Sarajevo für ein Wochenende in die ganze Welt, stellt es auf hohe Absätze, presst ihm ein Handy ans Ohr, schüttelt blondierte Mähnen. Wir stellen uns als Zaungäste an den VIP-Eingang und schütten aus einer Papierstange gesalzene Kürbiskerne auf die Handflächen. (Adresse)

Panorama genießen von der alten Burg aus. Fleißige klettern zur Fuß hoch, lohnt sich.

Einen Abend in der Bar "Bar" verbringen. Sie befindet sich in der Kranjčevićeva, Ecke Goruša - wenn ich mich nicht irre! Ansonsten in der Parallelstraße suchen oder jemanden fragen. Dort lernt man Sarajevos Jugend-, Kultur- und Musikszene kennen, und falls man mal irgendwo eine Kneipe in Deutschland eröffnen will, weiß man gleich, wie die am besten aussehen sollte.

Die Straßenbahnlinie ausfahren, von einem Ende zum anderen, ständig aus dem Fenster gucken und auch Sniper Alley richtig auf sich wirken lassen. Die Sniper Alley nimmt kein Ende. Parallel läuft ebenso endlos die einzige Straßenbahnlinie Sarajevos, die von einem Ende des Tals zum anderen fährt, hin und her wie ein Fisch im Aquarium.

SFOR-Soldaten auf den Ärmel gucken. Wenn die deutsche Flagge drauf ist, den Soldaten ansprechen und fragen, wo er herkommt, wie es so geht und ob jetzt schon deutsche Soldatinnen in Sarajevo sind. Dann um ein paar Besichtigungstipps bitten.


 

Lejla Hido
Gleise des Schweigens
*

Durch den Krieg haben sich drei Kulturzentren entwickelt, in Zagreb, Belgrad und Sarajevo, mit jeweils kroatischem, serbischem bzw. bosnischem Schwerpunkt. Buybook bemüht sich, Literatur aus allen drei Volksgruppen zu veröffentlichen und zu vertreiben.

und am Ende:
mit Händen
schieben wir die Welt
damit sie uns dieses Mal
übergeht
auf unseren Gleisen
über die wir -
endlich Archäologen
alles niemals nicht
mit ganzer Stimme
erforschen

i na kraju:
rukama guramo svijet
da nas ovog puta
mimoiðe
na našim prugama
o kojima mi -
konaèno arheolozi
sve nikad
na sav glas
ne istražujemo


Nach Ilidža fahren, durch den alten Park und auf der Großen Allee bis zur Quelle der Bosna laufen (auf den Wegen bleiben, ja?). Ich werde ausgetrunken durch feine Kanäle, welche die Mücken unter dem Kleid in meine Beine legen. Ich verbiete dem Hund, den Weg zu verlassen, was er für eine grundlose Strafe hält, und zünde mir eine Zigarette nach der anderen an, um zu beweisen, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist. Das ist kein Spaziergang, das ist eine Metapher. Fußmüde können eine Pferdekutsche nehmen. Die Quelle der Bosna besteht aus unzähligen Bächen und Tümpeln, es gibt Restaurants und Cafés und bunte Glühbirnen an Schnüren zwischen den Bäumen. Gegen 23:00h beginnen Fuchs und Hase mit dem Gutenachtsagen.

Tunneleingang
Tunneleingang

Bei Schüler Helfen Leben (Adresse) vorbeischauen. Die Nichtregierungsorganisation wurde während des Krieges von deutschen Schülern gegründet, die in Eigenverantwortung einen Hilfskonvoi nach Sarajevo brachten. Wenn man freundlich fragt und gerade nicht zuviel Stress herrscht, kann man sich erzählen lassen, womit die groß gewordene Organisation sich inzwischen beschäftigt. Interessant!

Allee

Das Tunnelmuseum suchen. (Adresse) Öffnungszeiten täglich von 9h bis 17h, im Sommer bis 19h. Es ist schwer zu finden, in Flughafennähe, denn der handgegrabene Tunnel verlief unter dem Rollfeld. Man muss von der Seite des Stadtteils Ilidža anfahren. Taxifahrer anquatschen und sich hinfahren lassen. Das Tunnelmuseum ist gleichzeitig ein Privathaus, ausgewiesen durch ein Schild. Klingeln. Niemand spricht Englisch, aber die Ausstellungsstücke sprechen für sich, und ansonsten gibt es Handzeichen. Unbedingt den Videofilm anschauen, der im Haus gezeigt wird. Mindestens fünf K-Mark pro Person zahlen als Tribut für die Aufrechterhaltung der kleinen Anlage!

Den Stadtteil Dobrinja besichtigen. Hier läuft die innerbosnische Grenze durch Sarajevo und trennt einen Zipfel der Stadt für die Republika Srpska ab. Die Grenze wurde erst im Sommer 2001 zum letzten Mal verlegt. Der Dayton-Vertrag schlägt einen Zipfel der Stadt der serbischen Republik zu, "mit dem Filzstift auf dem Reißbrett", sagen die Handballer. Jahrelang konnte man im einen Bundesland auf dem Klo sitzen, im anderen fernsehen, innerhalb derselben Wohnung.

Wenn man ein Auto hat, nach Pale fahren. Am Fluss entlang Richtung Osten und durch den Tunnel, dann immer geradeaus - Pale ist ausgeschildert. Man kann getrost im Auto sitzen bleiben, nach einer kleinen Rundfahrt hat man die Nase voll. Tanken - der Sprit ist 30 Pfennig billiger in der Republika.

drei Kirchen Von allem etwas: Auch diese Stadt ist ein Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke, jede Epoche, jede Kultur hat ein Haus hingestellt, von Rom über christliches Mittelalter, jüdische Diaspora und türkische Besetzung. Österreich-Ungarn, Faschismus, Kommunismus, Kapitalismus und American Dream, Bürgerkrieg und europäische Integration. Man könnte irgendwo eine holländische Windmühle hinbauen, der Vollständigkeit halber. Erst jetzt, peinlich genug, begreife ich, dass ich mit eigenen Augen sehe, was man den Schnittpunkt europäischer Kulturen, die Grenze zwischen Morgen- und Abendland, den Vielvölkerstaat nennt. "Plopp" macht es, als die Wirklichkeit andockt an den Begriffen.



Was man  n i c h t  tun muss

Nicht in einem großen Hotel (Adresse) absteigen, auch wenn es schön westlich und sicher aussieht. Es ist zwar westlich und sicher, aber teuer. Viel netter und etwas billiger sind kleine türkische Hotels, am besten über die Agentur (Adresse) vermitteln lassen. 80 K-Mark muss man für ein Einzelzimmer trotzdem rechnen. Es gibt auch Apartments bei Familien, da kommt man billiger weg. Vielleicht nicht unbedingt bei Konak in der Mula Mustafe Bašeskije absteigen, es sei denn man ist ein Mann und hat einen tiefen Schlaf. Dann höre ich zu, wie drüben im Nachbarzimmer stöhnend ein Orgasmus simuliert wird, mit deutschen Ausrufen, "Ich zeig's dir" und "Ich fick dich".

Versuchen, die neuere Burganlage über der Stadt von innen zu besichtigen:  Ich öffne ein Tor und stehe einer Reihe von Soldaten gegenüber, die ihre Maschinengewehre auf mich anlegen. Einen Moment glaube ich, sie seien vom Himmel gefallen, aber sie sind mir von ihren Wachtposten links und rechts des Eingangs in den Weg gesprungen. Wir sind alle erschrocken, stehen wie angewurzelt, die Gewehrläufe zeigen wie lange Finger auf mich, und ich stehe allein, der Außenseiter auf dem Schulhof im Kreis seiner Spötter. "Tourist", sage ich, es klingt wie ein Grund für Schuldunfähigkeit. Draußen war kein Hinweis darauf, dass sich drinnen eine Kaserne befindet.


Hotel

Ausflüge in die schöne Bergwelt rund um Sarajevo. Es sei denn, man hat jemanden dabei, der weiß, wo man hintreten darf und wo nicht. In Ilidža und Dobrinja sollte der Asphalt nicht verlassen werden.


                                 Sarajevo ZENTRUM 

Ethnische
Zugehörigkeit

Einwohner vor
dem Krieg

Einwohner nach
dem Krieg

Bosnische
Moslems

39.685
50,3 %

57.933
81,3 %

Bosnische
Kroaten

5.411
6,8 %

4.922
6,9 %

Bosnische
Serben

16.622
21 %

6.325
8,9 %

Sonstige

17.287
21,9 %

2.044
2,9 %

Gesamt

79.005
100 %

71.224
100 %

Quelle: Beauftragter der Bundesregierung für Bosnien Hans Koschnik http://www.bbs.bund.de/home.htm



E. T. nach Hause telefonieren

E-plus nach Hause telephonieren: Aber nicht von Sarajevo aus: Das war früher so (2001). Inzwischen funktioniert das Mobilfunknetz in Bosnien besser als in Deutschland. Zumindest wenn man nicht in die Einöde wandert.

     Vorwahl:
Von Deutschland aus: 00 387 - 33
Von einem Ort in Bosnien aus: 0 33

Internetcafé: Mehrere. Zum Beispiel in der Fußgängerzone von Baščaršija kommend auf der linken Seite, nachdem man die Kathedrale passiert hat. Eine Stunde 5 K-Mark.

Geldautomaten: überall, fast jede Bank hat einen. Kreditkarte und EC.


* Aus der Literaturzeitung Kolaps, die in Mostar erscheint. Übersetzt von Saša Stanišić.