Travnik :: Den kenne ich

. . .  a b e r  a u c h  w e r  n i e m a n d e n  k e n n t, sollte einen Besuch in Travnik auf die Liste der Pflichtübungen setzen. Spätestens wenn das Gefühl auftaucht, seit Antritt der Reise ein bisschen viel über Krieg, das Böse im Menschen, homo homine lupus und dergleichen nachgedacht zu haben, ist der rechte Moment gekommen. Natürlich war auch in Travnik Krieg. Wie Mostar gehört Travnik zu den Regionen, in denen bosnische Moslems und bosnische Kroaten heftig gegeneinander kämpften, während sie andernorts häufig in Allianz gegen die Serben standen. Entsprechend hat sich der Bevölkerungsanteil der Kroaten von 40 Prozent vor dem Krieg auf 15 Prozent verringert. "Fucking village", zischt ein junger Typ, "I hate this town." Er ist hier geboren, bosnischer Kroate und studiert Architektur in Split. Schiffe will er bauen, große Schiffe. Eine Weile gehen wir nebeneinander her. Ich traue mich nicht zu sagen, wie bezaubernd das Städtchen ist. "Have fun", sagt er ironisch, als wir uns trennen. Ich konsultiere die demographische Statistik und verstehe, was ein Kroate mit "fucking village" meint.
Nacht Dennoch hat Travnik vergleichsweise nicht so viel abbekommen, große Teile der alten Bausubstanz sind erhalten. Wie ein Nadelkissen sieht die Stadt aus mit ihren vielen Minaretten, sie scheinen nur auf ihren Einsatz zu warten, den zerrissenen Himmel zu flicken. Auf der Suche nach X-Café schlendere ich durchs Zentrum. Eine Phalanx habsburgischer Verwaltungsgebäude zieht an mir vorbei. An den Hängen hocken die üblichen Verdächtigen: Hübsche türkische Häuser mit vorspringenden Obergeschossen und Steinplattendächern.
Die Stadt wirkt, als gehöre sie der Jugend und allen, die sich unabhängig vom Alter dazu zählen. Die Stadt ist klein (etwa 60.000 Einwohner), aber sehr lebendig. Vor allem durch die Aktivitäten von AlterArt und der großen Clique von jungen Leuten rund um das X-Café, den Snowboard-Club, die Diskothek Yoda und den Club Kaleidoskop bewegt sich eine Kulturszene, die mit nichts anderem beschäftigt ist, als, pardon, Scheiße in Gold zu verwandeln. Aufgrund der Umstände in einem Nachkriegsland sind Bosniens Kulturszenen, vielleicht mit Ausnahme jener Sarajevos, grundsätzlich dem Off-Bereich zuzuordnen. Das kann man traurig finden. Muss man aber nicht.



Was man tun muss

Versuchen, ein Zimmer in der Prenočiste (Adresse) auf der Nicht-Zentrums-Seite des Flusses Lašva zu mieten. Wenn man Glück hat, ist man ganz allein in dem hübschen Haus und teuer ist es auch nicht. Lieber erst anrufen, nicht gleich hinfahren, sonst steht man möglicherweise vor verschlossener Tür.

Einen Kaffee trinken an der Stelle, wo der habsburgische Thronfolger Franz Ferdinand angeblich seine letzte Mahlzeit einnahm. Etwas weiter oben schwimmen in gemauerten Bassins die Nachfahren des historischen Fischs, der 1914 in Franz Ferdinands Magen auf dem Weg nach Sarajevo von einer Kugel durchbohrt wurde. Und deshalb brach der Erste Weltkrieg aus. Die Stelle eignet sich auch hervorragend, um Čevapčići und anderes zu essen. Im Sommer wird ein alter Grill durch ein Schaufelrad im Fluss betrieben, die Lämmer brutzeln im Ganzen.

Sich ganz langsam der Quelle Plava Voda nähern. Plava Voda kann blondes Wasser oder blaues Wasser heißen, das ergibt sich im Kroatischen aus dem Zusammenhang. "Unsere Sprache ist nicht Kroatisch", sagt er, "sondern Bosnisch." Ich lache, als hätte er einen Witz gemacht. Schon auf dem Weg dorthin wird man den Atem des Wassers zu spüren bekommen: Mit einem Schlag wird mir kalt, erst glaube ich an den erwarteten Kreislaufkollaps. Die Lufttemperatur ist gefallen, wie wenn man auf dem Motorrad ein Waldstück durchquert, ich schlage die Arme um den Körper. Wasser schießt mit hohem Druck im gepflasterten Flussbett eine Gasse herunter, kleine Brücken schlagen ihre Bögen zu den Hauseingängen. Das Wasser hat immer elf Grad, egal wie heiß die Luft ist.

Von der Festung aus das Trinkwassersammelbecken oberhalb von Plava Voda betrachten und sich vorstellen, wie die quadratisch gemauerte Zisterne, in der im Sommer auch mal die Kinder baden, während des gesamten Kriegs rund um die Uhr von den Stadtbewohnern bewacht wurde, weil man fürchtete, die Serben könnten auf die Idee kommen, ganz Travnik zu vergiften.

Auf den Vlašić fahren, den höchsten Berg in der Umgebung Travniks. Der Snowboard-Club hat dort eine Hütte, und im Winter geht in Sachen Ski und Snowboard die Post ab, inklusive Parties, Wettkämpfen und dergleichen. Im Sommer kann man immerhin die beeindruckende Skischanze besichtigen. Auf allen Vieren ziehen wir uns an Grasbüscheln und Gestrüpp den Hang zu Skischanze hinauf. Ein bedrohlicher Koloss aus bröckelndem Beton, was Holz war, ist abgebrannt, auch das Geländer der steilen Treppe im Innern des Turms. Die Aussicht ist fatal. Weder auf Skiern noch mit Fallschirm würde ich mich hinunterstürzen. Mit schwarzer und roter Farbe haben SFOR-Soldaten ein Ungeheuer auf die Reste der Rampe gesprüht, ein Zeichen für alles Böse, erklärt der Direktor und lehnt sich über das Geländer. "Wenn das ganze Ding in Flammen steht, springt du dann?" Er zeigt auf die Wipfel der Tannen unter uns. Ich wäge Für und Wider ab und nicke langsam. Wahrscheinlich schon. Wenn man vernünftig ist, kauft man sich gleich ein Ferienhaus. Falls ich ein Wochenendhaus brauche: Zehntausend Mark. Hotelanlagen ab Hundertfünfzigtausend. Der Boden ist noch ein bisschen zerwühlt von Militärfahrzeugen, denn die SFOR hatte hier eine Base. Aber es kann nicht lange dauern, bis hier wieder ein richtig schöner Winterurlaubsort entsteht.

Die kürzeste Abhandlung der Welt zu folgendem Thema verinnerlichen: "Travniks Architektur - Spiegel der Geschichte im Vielvölkerstaat". Sie geht so: Die Türken haben manches gebaut, und alles gehörte den Ungarn, bis es zurückgegeben wurde.

Nicht vergessen, dass Ivo Andrić, der bosnische Nobelpreisträger, berühmt für sein Buch "Die Brücke über die Drina", 1892 in Travnik geboren wurde. Sein Geburtshaus ist, wie könnte es anders sein, inzwischen ein Museum.

Nacht

Abends Wein trinken im Kaleidoskop - eine der gemütlichsten Kneipen, die ich kenne. Nicht ganz leicht zu finden, das Kaleidoskop liegt unter dem Dach eines der Häuser, welche die Flaniermeile in der Innenstadt säumen, hat kein Schild an der Tür, und betreten muss man das Gebäude von der Rückseite her. Ich schlage vor, jemanden nach dem Weg zu fragen, vorzugsweise jemanden unter 30 Jahren!

Falls man jetzt noch nicht sicher ist, Travnik sehen zu wollen: Photos gucken - die Homepage der Stadt ist leider auf Bosnisch, aber die Bilder sprechen für sich.

Natürlich X-Café aufsuchen, nachdem der Name jetzt schon zweimal fiel. Ich bin umgeben von rot und blau gefärbten Haaren, Tattoos und blondierten Bärtchen, wie mit der Schablone rasiert. Verspiegelte Skibrillen wandern im Minutentakt von ihren Plätzen auf Glatzen hinunter zu Nasenbeinen und wieder hinauf. Sich im Hof in eine Hollywoodschaukel setzen, Cappuccino mit Vanillearoma trinken und lauschen, wie aus drei verschiedenen Cafés The Cure, Sting und Violent Femmes singen. Die Kerzenflammen müssten sich vor dem Druck der Bässe eigentlich rhythmisch verneigen. Der Wein wird in Wassergläsern serviert. Einrichtung und Dekoration im X-Café ist selbst gemacht, wobei fehlendes Geld durch Phantasie, Mühe und Geschicklichkeit ersetzt wird. Von den Betreibern des Cafés werden auch Konzerte, Theatervorstellungen, sportliche und kulturelle Wettkämpfe und überhaupt Events aller Art organisiert. Programmzettel abfassen!

Aus der Quelle trinken. "Trink von der Quelle, und du kommst nach Travnik zurück." Ich gehorche ohne Zögern. Eine angenehme Trink-Folge - in anderen Fällen verwandelt man sich gleich in ein Reh. Oder Schlimmeres.

Einen Blick in das inzwischen leerstehende Hotel bei Plava Voda werfen, falls die Tür nicht inzwischen verschlossen wurde. Drinnen wird Wasser aus der Quelle in schmalen Rinnen durch die Rezeptionshalle und das ehemalige Restaurant geleitet, das muss einst ein perfektes Kühlsystem gewesen sein. Inzwischen ist alles gezeichnet vom morbiden Charme des Verfalls. Wer viel Geld übrig hat, könnte das Hotel ja wiedereröffnen ... Bitte!

Fische füttern. Ich werfe ein Hörnchen ins Wasser, in Sekundenschnelle verschwindet es in einem grau glänzenden Wirbels. Piranhas, sage ich. Man kann auch Fischfutter kaufen. Man kann auch einen Fisch kaufen. Oder erst das eine, dann das andere.

Ein Haus

Auf die alte Burganlage klettern. Wir lagern eine Weile auf den Ruinen am höchsten Punkt der Burg, die meisten mit Kopfhörern, alle mit Zigarette im Mund. Scherze fliegen hin und her, Arme werden gen Himmel gereckt. Es ist ein friedlicher, ja glücklicher Moment. Die Burg ist ein Freilichtmuseum, was bedeutet, dass jemand am Eingang sitzt und eine (update: zwei) K-Mark Eintritt kassiert. Teile der mittelalterlichen Befestigungsmauern sind sehr gut erhalten, der ganze Ort ist durch und durch romantisch. Im Sommer werden nachts Theateraufführungen und Konzerte unter freiem Himmel inszeniert.

Wieder eine neue Theorie über die Ursachen des Bürgerkriegs lernen: "Wenn alle gekifft hätten, anstatt zu saufen", sagt der Direktor, "hätte es diesen Krieg nicht gegeben."

Die Innenstadt, die eigentlich komplett Altstadt ist, muss man in bester Touristenmanier durchlaufen. Travnik galt einst als das "Europäische Istanbul" und war wie die meisten anderen Städte über eine längere Periode die Hauptstadt Bosniens. Dieses Land hat ein gerechtes System: Jede Stadt darf eine Zeitlang Chef sein. Man kann eine Moscheen-Tour machen, jede sieht anderes aus, jede ist für sich ein kleines Kunstwerk, und es gibt viele von ihnen. Die Jeni Moschee ist eine der ältesten (aus dem 16. Jahrhundert), Sulejmanija Sarena fällt durch ihre Ornamente auf.

Nicht zu übersehen sind die Turben, türkische Mausoleen, von denen die drei wichtigsten inzwischen den Taxen und Bussen im Weg stehen. Wenn man vom Zentrum aus die Hauptstraße (Fußgängerzone) Richtung Theater geht (sich also von Plava Voda entfernend), versteckt sich in einer schmalen Gasse linker Hand hinter einem winzigen Friedhof mit drei alten türkischen Gräbern eine weitere Turbe, die wie eine Spardose einen großen Schlitz an der Seite hat. Münzen reinwerfen und sich für die nächste große Reise oder ein wichtiges Handelsgeschäft Glück erbitten von Wem-auch-immer. Travnik lag immerhin auf der wichtigsten Handelsroute zwischen Dubrovnik und Belgrad.

Wem die Besichtigung trotzdem zu langweilig ist, kann sich durch ein Suchspiel unterhalten: Bei welcher Moschee steht das Minarett auf der falschen Seite? Gerüchte sagen, das irgendein osmanischer Herrscher etwas ganz Besonderes sein wollte; andere Gerüchte behaupten, bei Renovierung der Moschee hätte man wegen des vielen Wassers im Boden das Minarett auf die andere Seite setzen müssen. Nächste Schwierigkeitsstufe: Bei welchem Uhrenturm wird die Zeit auf "türkische Art" gemessen? Die Uhr beginnt im Moment des Sonnenuntergangs zu zählen und nicht bei Mitternacht. Letzteres Rätsel habe ich nicht gelöst. Zu spät erfuhr ich, dass dieser Uhrenturm sich an der Hadži-Ali Begova Moschee befindet - falls die noch steht.


                                 Travnik und Umgebung 

Ethnische
Zugehörigkeit

Einwohner vor
dem Krieg

Einwohner nach
dem Krieg

Bosnische
Moslems

31.813
45 %

48.861
82,3 %

Bosnische
Kroaten

26.118
36,9 %

9.144
15,4 %

Bosnische
Serben

7.777
11 %

539
0,9 %

Sonstige

5.039,7
7,1 %

823
1,4 %

Gesamt

70.747
100 %

59.367
100 %

Quelle: Beauftragter der Bundesregierung für Bosnien Hans Koschnik http://www.bbs.bund.de/home.htm



Was man  n i c h t  tun muss

"Kroatisch" sagen, wenn man eine Bemerkung zur Landessprache machen möchte. In Travnik spricht man definitiv Bosnisch.

Wie immer: Spaziergänge im noch so wunderschönen Canyon oder sonstwo sollten unterlassen werden, wenn kein Ortskundiger dabei ist.

Glauben, dass sei schon alles, was es in Travnik zu sehen gibt. Der Canyon der Lašva ist wunderschön, es gibt noch haufenweise Berge außer Vlašić und haufenweise unerwähnt gebliebene Kulturgüter.


E. T. nach Hause telefonieren

     Vorwahl:
Von Deutschland aus: 00 387 - 87
Von einem Ort in Bosnien aus: 0 87

Im Zentrum befindet sich ein Internetcafé, ebenfalls auf der Flaniermeile, wenn man Richtung Plava Voda geht, auf der rechten Seite, schon relativ nah vor dem Stadttor und nicht unweit des Clubs "Yoda", wenn mich nicht alles täuscht.