Tuzla :: I was not here

U n d  d a s,  o b w o h l  T u z l a  eine der charmantesten Städte Bosniens ist. Hat man erst den Ring aus mehr oder weniger funktionstüchtigen Industrieanlagen rund um die Stadt durchbrochen, findet man eine Universitätsstadt, fast wie sie im Buche steht. Tuzla wirkt lebendig, dominiert von der jungen Generation. 
Rohre zischen im zugewachsenen Straßengraben wie dicke, dampfende Schlangen. Der Industrieschrott ist bunt angestrichen, als ließe sich auf diese Weise etwas Hübsches herstellen, abwechselnd rot und grün werden die Schornsteine angestrahlt. Soviel Salz haben sie abgegraben, dass die Straße sich zur rechten Seite neigt. Weiter hinten wird Strom erzeugt für das halbe Land. Dampf pfeift aus löchrigen Kesseln, hier und da dreht sich ein Schwungrad. Das ganze Gelände könnte von Tinguely sein, dem alten Schrottkinetiker. Und wieder einmal hab ich's doch geglaubt, nämlich dass Tuzla hässlich sei. Und wieder einmal schmerzt die Schönheit Efeu bewachsener Gemäuer, wieder einmal flanieren Massen lächelnder Menschen.



Was man tun muss

Bei "Konak" (Adresse) absteigen. Wie am Faden gezogen finde ich das einzige Hotel, das ich mir leisten kann, weiß wie in Griechenland, mit gleich zwei Terrassen übereinander. Hier wird man für einen fairen Preis (eine Übernachtung zu ca. 40 K-Mark) zentrumsnah untergebracht. Die Pension befindet sich auf der dem Zentrum gegenüberliegenden Flussseite im unteren Bereich des Hangs, auf dem sich ein türkisches Wohnviertel ausbreitet. Die Straße ist die erste Parallele oberhalb der breiten Schnellstraße, die entlang des Flusses verläuft.

Einen Test in Menschenmassentauglichkeit bestehen, bevor man sich in warmen Freitag- und Samstagnächten in die Innenstadt wagt. Popcorn, Eis und Kürbiskerne - die Fußgängerzone ist ein Freilufttheater, jeder ist Schauspieler und Zuschauer in einer Person.

Ein steinschweres, steinrundes und dunkelgelbes Brot kaufen, dass  nicht Lejla heißt, aber wie sonst? Die Brote sitzen ohne Namensschildchen in den Regalen, mit nacktem Finger deute ich, wie man es nicht soll. Ein bröckliges, zugleich feuchtes und trockenes Zeug. Was anderes will ich nie mehr. Hoffentlich wird Mais nicht giftig in hoher Konzentration. (Das Brot heißt irgendwas mit "kukuruz" = Mais.)

Im Park der Universität nachschauen, ob ein Open-Air-Film gezeigt wird.

Wissen, dass "Tuzla" vom türkischen Wort "Tuz" für Salz kommt. Es wurde so viel von den Mineralstoffen abgebaut, dass sich die Erde an manchen Stellen bis zu 10m absenkte. Ganze Stadtteile, heißt es, seien auf diese Weise im Erdboden versunken. Der historische Brunnen (Cesma) wurde gerettet und mehrmals wieder aufgebaut.

Falls man Partylöwe und Dance-Spezialist ist, sollte man eine der unzähligen Partys besuchen, die auf Plakaten an allen Ecken angekündigt werden. Tuzla ist neben Sarajevo und Banja Luka wichtiger Teil der Musik- und Partyszene in Bosnien. Die Stimmung auf diesen Veranstaltungen lässt sich mit der westdeutschen Mischung aus Überdruss und Coolness nicht vergleichen. So wurde vielleicht einst im Nachkriegsdeutschland gefeiert. Lang ist's her.

Das Gedicht an dem in eine Hauswand versenkten Denkmal auf dem Marktplatz lesen. Es erinnert an einen Granateneinschlag, bei dem 71 Jugendliche aus allen drei Volksgruppen von einer serbischen Splittergranate getötet wurden, während sie trotz des Beschusses den "Tag der Jugend" mit Rockmusik und Tanz feierten. Hunderte wurden verletzt.


Na ovom mjestu
Mak Dizdar, 25.5.95

An diesem Ort

Ovdje se ne živi samo
Da bi se živjelo.
Ovdje se ne živi samo
Da bi se umrlo.
Ovdje se i umire
Da bi se živjelo.

Hier lebt man nicht nur
Um zu leben.
Hier lebt man nicht nur
Um zu sterben.
Hier stirbt man auch
Um zu leben.


Über den Markt schlendern, wo an überdachten und teilweise zu einer Art Höhlensystem zusammengewachsenen Verkaufsständen vor allem Bekleidung, Schmuck, Uhren und Klimbim aller Art verkauft wird. In der Mitte befindet sich ein Lebensmittelbereich, den man allein wegen seiner Gerüche und dem schönen Anblick am liebsten komplett mit nach Hause nehmen würde.

Einen Ausflug zum See (Modračko Ježero) machen, vorausgesetzt, man findet den Weg. Von Tuzla aus Richtung Bistarac fahren, und nach Bistarac die erste Landstraße links nach Poljice. Ruhiger grauer See mit grauer Bergkette in der Ferne und grauem Himmel darüber, Landschaft mit Gelbstich, Lichtpfützen auf der Seeoberfläche, dazwischen die Silhouetten angelnder Männer, bis zur Brust im Wasser stehend. Zwischen ulkigen, stumpfnasigen Ausflugsbooten, von denen einige Baldachine tragen wie schwimmende Himmelbetten, unter den Gondeln einer kilometerlangen, Kies transportierenden Seilbahn nehme ich ein mittelmäßig erfrischendes Bad im lauwarmen Wasser.

See bei Tuzla

Lange muss ich durchs Wasser laufen, erst mit den Knien pflügend, dann mit den Armen rudernd, bis ich endlich den Boden unter den Füßen verliere. Seegrundstücke gibt es am laufenden Meter für Apfel-und-Ei-Preise zu kaufen, inklusive Steinhäuschen, Obstwiesen und Pferdekarren. Überall sonst würden sich ausländische Kaufinteressenten in der Warteschlange gegenseitig die Augen auskratzen. Hier nicht. Ist vielleicht besser so.

Da kein besonderer Reiz darin liegt, in Brčko zu übernachten, kann man von Tuzla aus einen Ausflug dorthin machen. Bei Brčko liegt Arizona Market, wo man angeblich minderjährige Mädchen und Leopardpanzer kaufen kann.

Plastikblumen

Das Gebiet um Brčko war während des Krieges als Korridor nach Kroatien heiß umkämpft und gehört heute durch eine Sonderregelung beiden Entitäten an. Wenn die rechtliche Lage unklar ist, blüht der Handel mit allem, was man für Geld kaufen und verkaufen kann. Mitten im Niemandsland hat sich aus vielen Holzbuden und viel Staub ein seltsamer Markt entwickelt. Die Autos vor mir biegen in einen Feldweg ein, ich fahre hinterher. Arizona Market heißt tatsächlich so, ein großes Transparent bewegt sich im Wind. Die Parkplätze sind gebührenpflichtig. Pyramiden von Zigarettenstangen, hoch wie zwei Männer, einer auf den Schultern des anderen, überragen die Menschenmenge. Ihre Geldscheinbündel sammeln die Händler in durchsichtigen Plastiktüten. Die Haufen aus leeren Kartons und Plastikmüll hinter den Verkaufsbuden haben die Höhe der Dächer erreicht und wachsen auf ihnen weiter. Aufgehängte Schaufensterpuppen kreiseln am Strick. Staubwolken steigen in den Himmel. Das größte Problem an Arizona Market besteht darin, ihn zu finden. Am besten man fährt zuerst nach Brčko, wirft einen Blick auf die hässliche Grenzstadt und den in dieser Gegend ebenfalls hässlichen Fluss Sava und fragt nach dem Weg. Ausreichend englischsprachige und ortskundige SFOR-Besatzung auf den Straßen ist vorhanden. Ansonsten kann es nicht schaden, den anderen Autos zu folgen, die in dieser ziemlich ausgestorbenen Gegend unterwegs sind.

An den offenen Ständen hinter dem alten Brunnen im Zentrum ("Cesma") ein paar raubkopierte CDs kaufen. Für je 3 K-Mark kriegt man einiges, was europäischer und amerikanischer Musikmarkt so hergeben.


Was man  n i c h t  tun muss

Am Fluss in Tuzla schnuppern. Die Jala stinkt nach Schwefel als käme sie direkt aus der Hölle geflossen.

In der Innenstadt nach Orten suchen, wo man ruhig und gemütlich sitzen kann und etwas zu essen bekommt, das nicht Fastfood ist. Forget it.

Nach einem Grund für Menschenaufläufe suchen. Rumstehen und Rumgehen in der Innenstadt gehört wie in allen bosnischen Städten zur Abendgestaltung und nimmt in Tuzla (vielleicht wegen der Studenten?) besonders absonderliche Formen an.


E. T. nach Hause telefonieren

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